Heidelberg: Zentrum der HipHop-Kultur?
Die HipHop-Kultur in Heidelberg gehört seit März 2023 zum Immateriellen Kulturerbe Deutschlands. Gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz hat die deutsche UNESCO-Kommission entschieden, die Bedeutung der HipHop-Szene in Heidelberg für die Entwicklung in Deutschland ins bundesweite Verzeichnis aufzunehmen. Damit erklimmt die einstige Subkultur die nächste Stufe zur Hochkultur. Stellt sich nur die Frage: Warum nochmal Heidelberg?
Die Entwicklung der HipHop-Kultur in Deutschland ist eng mit den amerikanischen Kasernen und den hierzulande stationierten US-Soldaten verbunden. Ein gutes Beispiel dafür ist der New Yorker B-Boy Rico Sparks, der einen Teil seines Militärdienstes im Rhein-Main-Gebiet absolvierte und die neue Kunstform lokal bekannt machte. So ähnlich dürfte sich die HipHop-Kultur auch in anderen Teilen von Deutschland verbreitet haben. Dazu kamen US-amerikanische Zeitschriften und Tonträger sowie Filme wie Wild Style, Stylewars und Beatstreet, die in Deutschland sogar in den Kinos liefen. Das ZDF-Auslandsjournal sendete im Dezember 1983 sogar einen Beitrag aus New York über die HipHop-Kultur.
Obwohl es eine große Fangemeinde gab, entwickelte sich die Szene in Deutschland nur langsam und autark. Es gab keine großen Stars, kein professionelles Management und kaum mediale Berichterstattung. Dafür gab es jede Menge aktive Fans, die die Kultur nicht nur konsumieren, sondern sich das Know-how selbst aneignen wollten.
Was war so besonders an Heidelberg?
Ab 1985 formierten sich die ersten lokalen Fangruppen, die sich allmählich Kontakte zu Gleichgesinnten in anderen Regionen aufbauten. So entstand ein loses Netzwerk, das den Beginn der HipHop-Szene in Deutschland markierte. Die Pioniere bauten Strukturen auf und schufen Voraussetzungen, von denen spätere Generationen profitierten. Man spricht hierbei von der sogenannten Alten Schule, zu der beispielsweise die Heidelberger HipHop-Crew Advanced Chemistry um die Rapper Torch (bürgerlich Frederik Hahn) und Toni-L (Toni Landomini) sowie die Stieber Twins und Cora E. gehörten. Die Alte Schule lebte von einer aktiven Szene, die durch das ganze Land reiste, um ein Teil der neuen Kultur zu sein – man spricht auch von der „Tramperticket-Generation“.
Die Jams sind mit heutigen Konzerten nicht zu vergleichen. Es gab keine Shows mit festem Ablaufprogramm, sondern ein kreatives und mitunter chaotisches Zusammenkommen von Gleichgesinnten. Die Rapper standen zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Mittelpunkt, zahlreicher waren die Beatboxer, Writer und vor allem Breakdancer. Die Jam-Ära bildete den Startschuss für die überregionale HipHop-Szene in Deutschland. Und die Aktivisten in Heidelberg waren maßgeblich an diesem Aufbau beteiligt. Zu Beginn reimte die Mehrheit der Rapper noch auf Englisch. Der Erste, der seine Reime in deutscher Sprache verfasste, ist unumstritten Torch aus Heidelberg. Dadurch beeinflusste er eine ganze Generation von Rappern. Band-Kollege Toni-L wiederum entwickelte als erster Künstler Doppelreime auf Deutsch.
Wie steht es um die HipHop-Kultur in anderen Städten?
Man könnte sich jetzt kleingeistig darüber streiten, ob nicht auch andere Städte mit ihrer HipHop-Szene als Immaterielles Kulturerbe deklariert werden müssten. Allerdings werden die Verdienste von Torch um die HipHop-Kultur szenenintern immer wieder hervorgehoben. Die Absoluten Beginner etwa haben ihr 2016 erschienenes Album unter dem Namen Advanced Chemistry veröffentlicht – eine Hommage an die HipHop-Crew, die als Begründer des deutschen Raps gilt.
Der volle Titel des Eintrags im bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes lautet zudem „Hip-Hop-Kultur in Heidelberg und ihre Vernetzung in Deutschland“. Gewürdigt wird also insbesondere auch die Vermittlerrolle der Heidelberger HipHop-Szene sowie ihr offener Partizipationscharakter, den Torch und Co. stets betont und gefördert haben. Diese Herangehensweise bildete das Herz der neu entstehenden Kulturszene – und besonders in der Stadt am Neckar setzten sich die Aktivisten mit großer Leidenschaft für die Vernetzung ein.
Anstatt die Leistung der HipHop-Szene der eigenen Stadt zu betonen, sollten sich HipHop-Sympathisanten darüber freuen, dass „ihre“ Szene als Immaterielles Kulturerbe anerkannt wird. Ein weiterer Schritt von der Sub- zur Hochkultur.
Immaterielles Kulturerbe: Was bringt das?
Das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes zeigt exemplarisch, welche lebendigen kulturellen Traditionen und Ausdrucksformen in Deutschland praktiziert und weitergegeben werden – so steht es auf der Website der Deutschen UNESCO-Kommission. Das Verzeichnis wird in einem mehrstufigen Verfahren erstellt, die Vorschläge kommen direkt aus der Zivilgesellschaft. Das Ziel besteht darin, Aufmerksamkeit auf die ausgewählten Themen zu lenken, damit kulturelle Traditionen und Ausdrucksformen „erhalten, fortgeführt und dynamisch weiterentwickelt“ werden können.
Immaterielles Kulturerbe ist laut UNESCO ein Teil der kulturellen Identität einer Gemeinschaft oder Gruppe, die ihr Können und die Traditionen eigenverantwortlich pflegt. Eine direkte finanzielle Unterstützung ist mit der Auszeichnung nicht verbunden. Die Anerkennung kann aber genutzt werden, um Ressourcen aus kulturellen Fördertöpfen zu akquirieren. So soll in Heidelberg ein HipHop-Forum entstehen, für das Torch laut Website der Stadt bereits sein Archiv mit rund 5.000 Gegenständen geplündert hat.
Und vielleicht reicht es auch schon, dass Menschen wie der Baden-Württembergische Kunststaatssekretär Arne Braun wieder mal die alte Platte von Advanced Chemistry auflegen, wie er gegenüber dem SPIEGEL äußerte.